Geschichte des Lehmbaus

 


Lehm ist einer der ältesten Baustoffe der Welt. Bereits vor der Sesshaftwerdung des Menschen nutzten Jäger und Sammler einfache Schutzbauten aus Stangen mit Lehmbewurf. Historische Lehmbaukulturen sind auf der ganzen Welt zu finden und in vielen Regionen leben die Menschen nach wie vor zu einem überwiegenden Teil in Lehmbauten. Vor allem in trocken-heißen Klimazonen finden wir bis heute eine hohe Konzentration an Lehmbauten. Einerseits sind Materialien wie Holz und Stein häufig knapp, andererseits hält die hohe Masse der Lehmbauten die Räume angenehm kühl.

Im Nahen und Mittleren Osten können Lehmbauten mehr als 10 000 Jahre zurückverfolgt werden, wobei Reste von Siedlungen aus Lehmziegel, wie z. B. Catal Hüyük in Anatolien, bis heute erhalten sind.

In Ägypten wurden bereits 5000 v. Chr. sonnengetrocknete Lehmziegel aus dem fruchtbare Nilschlamm hergestellt. Die bis heute erhaltenen Lehmziegelgewölbe der Lagerräume des Grabmals von Ramses II nahe Luxor, ca. 1300 v. Chr., sind beeindruckende Zeugnisse davon.

In China reicht die Tradition des Stampflehms aber auch des Lehmziegelbaus bis 1300 v. Chr. zurück und große Teile der chinesischen Mauer wurden aus Stampflehm errichtet.

In Südamerika beeindrucken Lehmbauten vor allem durch ihre gigantischen Ausmaße. Beispiele dafür sind die Sonnenpyramide von Moche (2. – 5. Jhd. n. Chr.) sowie Chan Chan, die größte Stadt des präkolumbianischen Peru, welche zur Gänze aus Lehmziegeln erbaut wurde (ab ca. 1400 n. Chr., derzeit auf der UNESCO Liste für bedrohtes Weltkulturerbe).

Im Südwesten der USA sind es vor allem die Grubenhäuser der prähistorischen Indianerkulturen (ca. 200 v. Chr. – 250 n. Chr.) sowie die aus Lehmziegel errichteten Pueblos der Anasazi (ca. 1000 n. Chr), welche die Lehmbaukultur nachhaltig geprägt haben (Abb. 5).

Abb. 1: Weltweite Verbreitung von Lehmbauten (Karte: CRATerre/ENSAG)
Abb. 2: Rekonstruktion der Lehm-Siedlung Catal Hüyük, Anatolien, ca. 7500 – 5700 v. Chr.
Abb. 3: Lehmziegelgewölbe, Grabmals Ramses II nahe Luxor, ca. 1300 v. Chr.
Abb. 4: Chan Chan, Peru, ab ca. 1400 n. Chr.
Abb. 5: Taos Pueblo in New Mexico, ab ca. 1000 n. Chr.

 

Lehmbau in Europa

In Europa hatten Lehmbauten aufgrund des gemäßigten Klimas, mit kalten Wintern und teils starken Regenfällen, andere Anforderungen zu erfüllen. Holz war in vielen Regionen eine reichlich vorhandene Ressource und die Verbindung von Holz als tragendem Baustoff und Strohlehm als Ausfachungsmaterial fand weite Verbreitung. In einigen Regionen, in denen Holz knapp war, setzten sich Mauern aus Stampf- bzw. Wellerlehm durch, die durch ihre Massivität und ihre gute Speicherwirkung auch harten Wintern trotzten.

In Europa können erste Lehmbauten bis ins Neolitikum (bis ca. 5000 v. Chr.) zurückverfolgt werden. Dabei handelte es sich um einfache Pfostenbauten, deren Wände als Flechtwerk mit Lehmbewurf ausgeführt waren.

Während die Römer viele Zeugnisse ihrer Baukunst bestehend aus Steinen und gebrannten Ziegeln hinterlassen haben, kamen für nachrangige Gebäude auch luftgetrocknete Lehmziegel sowie Holzständerkonstruktionen mit Flechtwerk und Lehmbewurf zum Einsatz. In holz- und steinarmen Gebieten, wie z. B. am niederen Rhein, wurde von den Römern bereits Stampflehm verwendet. Eine Rekonstruktion eines römischen Hauses aus Stampflehm (ca. 2. Jhd. n. Chr.) wurden beispielsweise im Archäologischen Park Xanten errichtet. Diese Lehmbautechnik ist in Europa seit vielen Jahrhunderten bekannt.

Seit dem Mittelalter sind Fachwerksbauten mit Lehmausfachungen in Europa, von Frankreich über Deutschland bis in den Osten Europas, weit verbreitet.

Bauten aus Wellerlehm (englisch: Cob), einer Mischung aus Lehm und Stroh, findet man in Deutschland und Frankreich, aber vor allem auch in Großbritannien (Devon, Cornwall, Wales), wo es heute wieder eine aktive Cob-House Bewegung gibt, die sich für den Erhalt der zahlreichen historischen Beispiele einsetzt.

Viele historische Stampflehmbauten (französisch: Pisé) findet man heute noch in Frankreich, z. B. in der ländlichen Architektur um Grenoble und Lyon. Der wohl bekannteste und größte Stampflehmbau in Europa ist der mittelalterliche Burgkomplex der Alhambra in Spanien, der zur Gänze von einer massiven Stampflehmwand umgeben ist. Aber auch in Deutschland gibt es Stampflehmgebäude, wie ein 6-stöckiges Wohnhaus in Weil am Rhein beweist, welches um 1830 gebaut wurde und heute noch bewohnt ist.

Das von der EU geförderte Forschungsprojekt „Terra Incognita. Earthen Architecture in Europe“ gibt einen guten Überblick über die Lehmbautraditionen im westlichen Europa: http://www.culture-terra-incognita.org

Abb. 6: Verbreitung von Lehmbauten in Europa (Karte: Terra Incognita)
Abb. 7: Rekonstruktion eines neolitischen Langhauses mit Wänden aus Flechtwerk mit Lehmbewurf im Museum für Ur- und Frühgeschichte, Asparn a.d. Zaya, NÖ
Abb. 8: Fachwerksbauten im Elsass, Frankreich
Abb. 9: Cob House, England
Abb. 10: Der von einer Stampflehmmauer umgebene Burgkomplex der Alhambra in Granada, Spanien

 

Lehmbau in Österreich

In Österreich konzentriert sich der historische Lehmbau auf die holzarmen Gebiete im nördlichen Niederösterreich (im Weinviertel und teilweise im Waldviertel) sowie auf das südliche Burgenland. Die hohe Dichte an unterschiedlichen Lehmbautechniken im Weinviertel ist innerhalb Europas einzigartig. Der Großteil der Lehmbauten, die heute noch bestehen, wurde im 19. Jahrhundert gebaut. Wenn man sich ein Weinviertler Dorf um das Jahr 1900 vorstellt, so bestand die dörfliche Architektur quasi zur Gänze aus Lehmbauten. Obwohl sich der Lehmziegelbau (Deutschland: Lehmsteinbau) durchgesetzt hat, kamen auch zahlreiche weitere Lehmbautechniken wie das Wuzelmauerwerk (Deutschland: Lehmpatzenbau), der g´satzte Bau (Deutschland: Wellerlehm), Stampflehm sowie Quaderstockmauerwerk zum Einsatz. Aufgrund zahlreicher Um- und Zubauten findet man heute häufig eine Mischung verschiedener Lehmbautechniken und gebrannter Ziegel in einem Gehöft vor.

Eine Besonderheit des Weinviertels sind die zahlreichen Kellergassen. Die Kellerröhren wurden als Negativarchitektur aus dem stabilen Lösslehm ausgegraben, während das Aushubmaterial häufig direkt zur Errichtung der vorgelagerten Presshäuser verwendet wurde.

Im südlichen Burgenland dominierten Holzblockbauten. Diese wurden mit einer bis zu 6 cm dicken Lehmschicht mit hohem Strohanteil überzogen. Diese Schicht bot einerseits einen Witterungsschutz für das Holz, stellte andererseits aber auch eine Dämmschicht dar und diente darüber hinaus dem Brandschutz.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte die Industrialisierung neue Transportwege mit sich. Damit wurde auch Kohle in großem Maße verfügbar und Ziegelöfen wurden in ganz Niederösterreich gebaut. Zunächst wurden einfache Feldöfen ausgeführt, die oft auch in bestehende Lössabbrüche gegraben wurden, später wurden Ringöfen errichtet, die durchgehend beschickt werden konnten und dadurch eine viel höhere Kapazität aufwiesen.

Das war der Anfang vom Ende des Lehmbaus, der nach und nach durch gebrannte Ziegel ersetzt wurde und über das 20. Jahrhundert hinweg weitgehend in Vergessenheit geriet.

Seit den 1980er Jahren wird dem Lehm wieder vermehrt Aufmerksamkeit zuteil. Die Suche nach energie-effizienten, ökologischen Alternativen zu herkömmlichen Baumaterialien sowie ein vermehrtes Interesse an den gestalterischen Möglichkeiten des Materials haben zunächst im Bereich des Selbstbaus wieder zu einer experimentellen Annäherung geführt.

Heute kommt Lehm vor allem im Zusammenhang mit Strohballenbau, in Verbindung mit Holz, vermehrt auch in Form vorgefertigter Systeme, sowie im Innenausbau in Form von Lehmputzen oder Lehmbauplatten zum Einsatz. Der österreichische Lehmbauer Martin Rauch hat im Bereich des Stampflehmbaus Pionierarbeit geleistet und wurde mit seiner ästhetisch ansprechenden Lehmarchitektur über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt.

Weiters setzt sich derzeit ein Citizen-Science-Projekt von Lehmbau Boku dafür ein, die historische Lehmbausubstanz im Weinviertel zu dokumentieren, gleichzeitig mehr Bewusstsein für das lehmbaukulturelle Erbe zu Schaffen und dem massiven Abriss historischer Lehmbausubstanz entgegenzuwirken: http://lehmbau.boku.ac.at/citizen-science/

Abb. 11: Konzentration historischer Lehmbauten in Österreich
Abb. 12: Lehmhaus in Dürnleis, Weinviertel
Abb. 13: Lehmhaus in Mitterretzbach vor Sanierung
Abb. 14: Presshäuser in der Kellergasse Mailberg, Weinviertel
Abb. 15: Mit Lehm überzogener Holzblockbau im Burgenland (Freilichtmuseum Bad Tatzmannsdorf)

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